Rache ist süß, oder etwa nicht?!

„Zornig hatte Wieland den König verlassen. Er konnte nicht verwinden, dass Niedung, der König, sein Wort gebrochen hatte, und sann Tag und Nacht auf Rache. Endlich kam ihm ein Gedanke, er verkleidete sich, dann ging er zu König Niedungs Burg und gab sich für einen Koch aus. Der Plan gelang. Wieland gesellte sich zu den anderen Köchen und bereitete mit ihnen die Speisen für die Tafel des Königs vor.“

Die Geschichte geht noch weiter: Wielands Mordversuch am König wird entdeckt und zur Strafe werden ihm die Sehnen an Ferse und Kniekehle durchgeschnitten. Er sinnt weiter auf Rache und bringt die beiden jüngsten Söhne des Königs um, stellt aus ihren Knochen vergoldetes und versilbertes Tischgerät für die Tafel ihres Vaters her.

Liebe Gemeinde!
Der Mensch ist ein Rachewesen. Das zeigt diese Rachegeschichte um „Wieland, den Schmied“ aus der deutschen Sagenwelt auf sehr eindrückliche, wenn auch – ich gebe es zu – auf sehr drastische Weise.
Denn: nicht gleich jede Rache endet in körperlicher Verstümmelung oder Kindermord. 

Sich zu rächen, das kennt aber doch jeder von uns auf die ein oder andere Weise: wenn es innerlich so ein bisschen anfängt zu jucken, weil der andere mit seiner Unbelehrbarkeit, seiner Schrullenhaftigkeit und seiner Verstocktheit einfach Reizungen auslösten, denen man so schwer widerstehen kann. 

Wenn mich ein anderer oder eine andere vorsätzlich, gezielt, ganz bewusst beleidigt und kränkt.
Wenn mir jemand das Leben unnötig schwer, ja vielleicht sogar unerträglich macht.
Da kann das sprichwörtliche „kleine Teufelchen“ auf der Schulter schon mal die Oberhand gewinnen: „Los. Jetzt ist deine Chance gekommen. Räch dich doch mal so richtig. Das hast du dir verdient.“ 
Und schon sitzt man drin, im Kreislauf aus Hass, Feindschaft und gegenseitigen Verletzungen, der nie zu enden scheint. 

Wie soll man also mit solchen Situationen umgehen, die uns zur Rache treiben? Der Predigttext für den heutigen Sonntag, aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom, gibt darauf eine – scheinbar – klare Antwort. Dort steht:

Römer 12:17-21
"Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.  
Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.  
Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«  
Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln«.  
Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem."

Wenn ich das so lese, dann regt sich so ein klein bisschen Unbehagen in mir.
Vergelte niemand Böses mit Bösem. Seit auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.

Da kommt sofort der unweigerliche Einwurf: Hach, wenn es nur so einfach wäre?! Denn, wenn ich ehrlich bin, dann könnte ich ihnen jetzt spontan ein paar Situationen nennen, in denen ich das nicht umsetzen konnte.
In denen ich mein Recht mit allen Mitteln durchsetzen wollte.
In denen ich dem Bösen in meinem Leben Raum gegeben habe. 

Und eine weitere Frage kommt mir spontan beim Lesen dieser Sätze in den Sinn: Kann ich das überhaupt schaffen? Bin ich stark genug, um so einen scheinbar unmöglichen Anspruch an mich selbst gerecht zu werden? 

Da ist mir der zweite Vers schon viel sympathischer, ja fast befreiend.

Ist’s möglich, soviel an euch liegt, habt mit allen Menschen Frieden. 

Das ist doch mal ein vernünftiges Wort.
Da hat Paulus wohl ein Einsehen mit uns.
Er scheint sich der Schwierigkeiten bewusst zu sein, weiß, dass der Toleranz der Menschen, auch der Toleranz von uns Christinnen und Christen, eine Grenze gesetzt ist. 

Trotzdem soll man und darf man sich auf dem „Ist’s möglich“ nicht ausruhen.
Ich soll das Meine tun, um den anderen zur Einsicht zu bringen.
Ich soll dem anderen in seiner Unbelehrbarkeit, in seiner Schrullenhaftigkeit, in seiner Verstocktheit entgegenkommen – und, wenn das keinen Erfolg hat – weiter offen bleiben.

Es liegt nicht an mir Richter und Rächer zu sein und mich über den anderen zu erheben. Das ist nicht mein Platz, nicht mein Ort, nicht meine Aufgabe.

Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: «Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr».

Gott ist Richter, nicht der Mensch. 
Vielleicht wird da der ein oder andere von uns die Augenbraue hochziehen und sich denken: Schön und gut, irgendwann mal in einer fernen Zukunft, am Ende der Zeiten, hinterm Mond gleich links, dann wird Gott sich als Richter gegenüber denen erweisen, die mir aber im hier und jetzt Böses angetan haben.
Was will ich damit? Wo bleibt meine Rache? Jetzt?

Demjenigen sei gesagt: Gott geht es nicht um die unmittelbare Rache an demjenigen, der sich falsch verhalten hat. 
Es geht ihm um den Schutz desjenigen, an dem falsch gehandelt wurde. 
„Rächt euch nicht selbst“ – begib dich nicht hinein in diesen Kreislauf aus Hass, Feindschaft und gegenseitigen Verletzungen. 
Du kannst das.
Steig aus.
Jetzt. 

Gott ist da – für denjenigen an dem falsch gehandelt wurde. 
Gott sieht und wird eintreten für deine Gerechtigkeit.
Du sollst dir deine Gerechtigkeit nicht selbst schaffen.
Das ist nicht dein Platz, nicht dein Ort, nicht deine Aufgabe.

Der Mensch ist zu anderem bestimmt. 

„Vielmehr, »wenn dein Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihm, gib ihm zu trinken, wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln«“

Wir sind angesprochen und aufgerufen aus der Passivität auszusteigen und aktiv zu werden.
Dem Bösen in dieser Welt mit Offenheit und einer klaren Aussage entgegenzutreten, zu sagen: Ich bin nicht bereit und willig mich hineinziehen zu lassen in den ewigen Wechsel aus Opfer und Täter.
Ich bin nicht bereit und willig mich von dem Bösen in der Welt klein machen zu lassen. 
Ich bin nicht bereit und willig mich dieser Welt gleich zu stellen.

Und diese Aktivität beginnt schon im Kleinen.
Ein Lächeln, wenn der andere nur böse Worte für mich hat.
Eine helfende Hand, wenn der andere nur Abweisung für mich kennt.
xxx

Das ist keine Aufforderung den Nächsten zu lieben. 
Keine Aufforderung den Nächsten auch nur zu mögen.

Es geht darum, das zu tun, was nötig ist.
Darum, dem anderen ein Zeichen zu geben, dass es auch anders geht.
Es andere Möglichkeiten gibt, um zu einem gelingenden Umgang miteinander zu kommen.

Wenn ich anfange so zu handeln, dann kann ich auch eine Hoffnung weitergeben, die den anderen ansteckt.
Wenn ich anfange so zu handeln, dann kann auch ich darauf hoffen den anderen durch mein Handeln zur Umkehr zu verleiten, die feurigen Kohlen sind ein altes Bild dafür.

Wenn ich mich darauf einlasse, dann kann ich einstimmen in die Worte des Predigttextes.

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

Ich habe einen Grund für diese Hoffnung.
Ich habe einen Grund, dass dieses – scheinbar unmögliche – Vorhaben gelingen kann.
Dieser Grund ist das barmherzige Handeln Gottes an seinem Sohn Jesus Christus.
Durch seine Auferweckung haben wir einen Grund und eine Hoffnung, dass das Böse vom Guten überwunden werden kann.
Denn es ist bereits geschehen, indem Gott Jesus nicht dem Tod überlassen hat, sondern ihn auferweckt und erhöht hat, ist dem Bösen in der Welt bereits eine Grenze gesetzt worden.
Eine Grenze, die wir aber immer aufs Neue setzen müssen, um dieser Welt zu zeigen: 
Es geht auch anders. 
Denn – und das wusste schon Wilhelm Busch -: „Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, was man lässt.“

Gebet
Gott, du bist voll Barmherzigkeit und Liebe, wie Jesus es uns gezeigt hat.
Hilf uns, dass auch wir barmherzig sind, nicht kleinlich und engstirnig, nicht verletzend durch hartes Urteil.
Gib, dass wir andere verstehen lernen, und miteinander Wege zum Frieden finden.
Dir sei Ehre in Ewigkeit.
Amen.
 

Vater Unser
Vater unser im Himmel
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich
und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit. Amen.


Segen
So segne und behüte dich der allmächtige und barmherzige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.
Amen.